Aufbauend auf den Ergebnissen des Projekts „PapierLicht – Entwicklung von rezyklierbaren Leuchten aus Papier-Verbundwerkstoffen“ wurde in diesem Projekt ein auf nachwachsenden Rohstoffen basierendes, modulares System für die Messe- und Eventbranche als nachhaltige Alternative zu auf Aluminium oder Kunststoffen basierten Systemen entwickelt. Hierfür wurde der Rohstoff Papier in Papier- und Garnform durch andere, nachhaltige Materialien (z. B. naturbasierter Klebstoff) ergänzt und funktionalisiert und über textile und papierbasierte Verfahren zu zwei- und dreidimensionalen Systembauteilen verarbeitet. Nach der Konsolidierung entsteht so ein Verbundwerkstoff, der als Mehrwegkomponente fungiert und nach der Produktlebensdauer in einfacher Weise über etablierte Recyclingwege entsorgt werden kann.
Die im Projekt angewandte Herstellungstechnologie ist die Strukturspultechnologie. Diese basiert auf der konventionellen Spultechnik, bei der ein Garn präzise auf einen rotierenden Dornkörper abgelegt wird. Dabei bewegt sich der Fadenführer in einer auf die Rotation abgestimmten Changierbewegung, er pendelt also hin und her. So können Strukturen mit hoher Festigkeit und Formfreiheit entstehen. Es sind hohe Produktionsgeschwindigkeiten und hohe Automatisierungsgrade möglich. Die Geometrie ist nicht auf zylindrische Körper begrenzt. Vielmehr kann eine Vielzahl an Geometrien umgesetzt werden. Nach dem Spulvorgang erfolgt in einer Konsolidierung die Fixierung der einzelnen Garne.
Über die gewählten Verarbeitungstechnologien wurden zusätzlich weitere Funktionen in die Systembauteile integriert: Beleuchtungen, auf die die Strukturen und Materialien abgestimmt sind, und sensorische Funktionen, um bspw. bauteilintegrierte Schalterelemente zu erzeugen.
Alle Projektziele verfolgen dabei Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit der Materialien und Verfahren.
Nachhaltigkeit steht im besonderen Fokus der DITF und damit auch ihrer Spulentechnologie. Ein besonderer Schwerpunkt ist bspw. die Verbesserung des Ablaufverhaltens der Spulen. Damit verbunden werden Maschinen- und Antriebstechnologien zur wirtschaftlichen Herstellung solcher Spulen entwickelt und optimiert. Im Spultechnikum der DITF stehen die modernsten Spul- und Sondermaschinen zur vollkommen frei programmierbaren Spulenbildung bereit. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Hybridisierung mittels Zwirn- und Umwindetechnologie, um Garne mit speziellen Eigenschaftskombinationen bis hin zu sensorischen und aktorischen Garnen zu erzeugen. Darüber hinaus werden mit der Strukturspul- und Strukturknäueltechnik neue faszinierende Verfahren zur wirtschaftlichen Bauteilherstellung erforscht. Dabei wird angestrebt, die hohe Wirtschaftlichkeit der Spultechnik für die Herstellung freitragender, dreidimensionaler Strukturbauteile zu nutzen.
Im Projekt konnte gezeigt werden, dass über die Strukturspultechnologie mit einer geeigneten Konsolidierung Messe- und Eventmöbel hergestellt werden können, die komplett wiederverwendet oder über den Altpapierweg entsorgt werden können. Die funktionalen Anforderungen (Festigkeit, Stabilität, Beleuchtung und Sensorik) konnten erfüllt werden. Das modulare System und das geringe Gewicht der Elemente erlaubten eine nachhaltige, ressourcenschonende Nutzung. Es wurden die beiden Entsorgungswege Wiedernutzung und Entsorgung im Altpapier aufgezeigt.
Die Messe- und Eventbranche befindet sich im Umbruch. Auf Messen und Events werden nicht nur Botschaften zur Marke, zum Produkt und zum Preis transportiert. Vielmehr liegt das Augenmerk zusätzlich auf einer nachhaltigen Präsentation, da diese Hand in Hand mit der eigenen Markenbotschaft einhergeht. Unternehmen wollen und müssen nachweisen, welche umweltrelevanten Maßnahmen von ihnen getroffen werden und wie ihr Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz aussieht. Dies beginnt beim Messe- oder Eventauftritt, der folglich ebenso glaubwürdig nachhaltig gestaltet werden muss. Die erarbeiteten papiergarnbasierten und voll recyclingfähigen Messe- und Eventmöbel bieten hierfür also eine ideale Grundlage.
Im Projekt wurden drei Demonstratoren entwickelt, die aufzeigen, welche Potentiale in den rezyklierbaren Messe- und Eventmöbeln stecken. Es handelt sich um eine Messetheke, um einen Kundenstopper im DIN-A1-Format und um ein pyramidenförmiges Schauelement. In die Messetheke wurden sensorische Garne eingearbeitet, so dass ein berührungsempfindliches Feld erzeugt wurde. Dieses kann zur Steuerung der ebenfalls integrierten Beleuchtung genutzt werden.
Die Demonstratoren bestehen aus miteinander kombinierbaren rohr- und flächenförmigen Elementen. Diese werden über Verbindungselemente zusammengesteckt und so verbunden. Alle Einzelelemente sind nach der CEPI-Methode rezyklierbar.
Die Projektergebnisse zeigen nach Einschätzung der Projektpartner sowie nach Gesprächen in deren wirtschaftlichem und technologischem Umfeld ein sehr großes Potential, umweltrelevante Herausforderungen der Messe- und Eventbranche wirtschaftlich zu lösen. Gleichzeitig wird eine mögliche Kundenakzeptanz als sehr hoch eingeschätzt.
In zukünftigen Arbeiten und Projekten kann eine Vorbereitung der Serienfertigung erfolgen. Hierzu müssen Standardisierungen der Bauteile und der Prozesse vorgenommen sowie eine Produktionsumgebung aufgebaut werden.
Spulkörper - DITF
In grundlegenden Spulversuchen mit Papiergarnen wurden typische spultechnische Effekte beobachtet und in die Spulstrategie umgesetzt. Es wurden bauteilabhängig Parametersätze erarbeitet, die zu augenscheinlich guten Spulergebnisse führten. Für eine Reduzierung des spultypischen Schleppfehlers wurden diese Bereiche mit einer rutschhemmenden Beschichtung versehen. Ebenso erfolgte eine Anpassung des Steigungswinkels sowie der Fadenlaufgeschwindigkeit.
Damit der Spuldorn entfernt und so ein eigenständiges Bauteil entstehen kann, müssen die abgelegten Papiergarne konsolidiert werden. Für die Konsolidierung wurde ein stärkebasierter Klebstoff eingesetzt. Bauteile mit diesem wasserbasierten Klebstoff können über den Altpapierweg rezykliert werden, was von der PMV über die CEPI-Methode nachgewiesen wurde.
Spulkörper - DITF
Spulkörper mit integriertem Sensor - DITF
Die Integration der Sensorikfunktion schafft einen Mehrwert bei strukturgespulten Bauteilen, der bei anderen, etablierten Bauweisen nur durch großen Aufwand zu erzielen ist. Hierbei war es weiteres Ziel, die Sensorik unter voller Beachtung der Rezyklierbarkeit als Altpapier zu entwicklen. Die Funktion Sensorik wurde für die Umsetzung von berührungsempfindlichen Strukturen genutzt. So konnten Schaltersysteme direkt in die Systembauteile integriert werden, ohne dass weitere Komponenten benötigt werden.
Am Anfang der Designentwicklung stand die Untersuchung der möglichen Formen und Dimensionen der Spulkörper. Geeignete Verbindungselemente und praktikable Rastermaße in Kombination mit leichten und zugleich stabilen Spulkörpern ermöglichen raumbildende Strukturen.
Die Dimensionierung orientiert sich an den im Standardversand gängigen Abmessungen. Das geringe Gewicht der Bauteile ist hierbei ein weiterer Vorteil.
CAD Simulation - quintessence design
Neben der Bildung diverser Varianten mittels Strukturspulen wurden auch Verbindungelemente aus Papphülsen untersucht. Hierzu wurden Papphülsen mit einem passenden Außendurchmesser mechanisch und über Klebeverbindungen zu vergleichbaren Verbindungselementen zusammengefügt.
Verbindungselement - PMV
Verbindungselemente - PMV
Die so entwickelten Verbindungselemente zeigen alle eine gute Recyclingfähigkeit und entsprechen den Projektanforderungen.
Ziel der integrierten Beleuchtung war es, ein funktionelles Blickfangelement als integrierter Teil der Möbelelemente zu schaffen. Ein spezielles Beleuchtungsverhalten konnte so über die Anpassung der gespulten Strukturen mit streifenförmigen Leuchtmitteln im Inneren der Strukturen kombiniert umgesetzt werden. Zur Umsetzung des Ansatzes, LED-Leisten in die strukturgespulten, stabförmigen Bauelemente zu integrieren, wurden in einem ersten Schritt verschiedene Strukturen lichttechnisch untersucht.
Hinterleuchtete Struktur - DITF
Messung der Leuchtdichte - DITF
Die lichttechnischen Untersuchungen wurden mit der LumiCam 4000B durchgeführt. Diese Leuchtdichte- und Farbmesskamera erfasst u.a. die Leuchtdichteverteilung und liefert so die Grundlage für eine lichttechnische Bewertung der erarbeiteten Strukturen. Als Anforderungen an die strukturgespulten, beleuchteten Stabelemente wurde einerseits eine ausreichend hohe Leuchtdichte und andererseits eine blendungsarme Beleuchtung gestellt.
Ein mit Kupferdraht umwickeltes Papiergarn wurde auf einer zylindrischen Hülse strukturgespult, konsolidiert, geplättet und anschließend als dichtes Sensorfeld in das Papier integriert. Anschließend wurde eine einfache Sensorelektronik an das Funktionsmuster angeschlossen und getestet.
Sensorfeld - PMV
Funktionsüberprüfung, Sensorfeld - PMV
Eine einfache Sensorelektronik wurde an das Funktionsmuster angeschlossen und getestet. Wie in den Abbildungen unten zu sehen ist, leuchtet die LED der Elektronik rot auf, wenn das Papier berührt wird. Wenn kein Kontakt erfolgt, bleibt die LED dunkel.
Messen und temporäre Events verursachen große Mengen an Abfall, die branchenbedingt nicht vermeidbar sind. Die meist maßgefertigten Standbauten werden häufig nach der Veranstaltung oder im Eventbereich nach der letzten Veranstaltungsserie komplett entsorgt. Eine Weiterverwendung kann oft aufgrund der Anforderungen der Kunden bezüglich Aktualität, Einsatzzweck und Ziel der Veranstaltung nicht stattfinden. Häufig fehlen messe- und eventabgestimmte Recyclingkonzepte und die Möglichkeit, die einzelnen Komponenten sortenrein zu trennen, um sie nach der Nutzungsphase nachhaltig zu rezyklieren.
Werden die eingesetzten Materialien bspw. mit bislang typischen Materialien wie Aluminiumprofilen verglichen, so überwiegen klare Vorteile: weniger Energieeinsatz in der Herstellung, großes Recyclingpotential und der Einsatz nachwachsender Grundwerkstoffe.
Der Umweltnutzen des Vorhabens:
Am Beispiel der Demonstrator-Theke kann der Vorteil einer strukturgespulten Variante im Vergleich zu einer Theke aus 32 mm-Aluminiumprofilen mit einer 16 mm-Spanplatte dargestellt werden.
Die Papiergarn-Theke wiegt ohne Beleuchtung insgesamt 5,5 kg. Vergleicht man das Gewicht pro Zentimeter ergibt sich:
Nach einer Berechnung kann die Papiergarn-Theke ca. 75 % vom Gewicht und über 90 % CO2 einsparen. Zusätzlich konnte gänzlich auf umweltproblematische Stoffe verzichtet werden.